Italien: weit mehr als Chianti und Spaghetti
SPD-Veranstaltung mit Irene Bonini von der Italienischen Handelskammer
Obwohl großen Teilen der Bevölkerung als Urlaubsland wohl vertraut, machen sich viele Bundesbürger immer noch ein falsches Bild vom Handels- und Wirtschaftspartner Italien. Dieses Bild zu korrigieren, darum ging es Dottoressa Irene Bonini von der Italienischen Handelskammer, Informationsstelle Baden-Württemberg mit Sitz in Sindelfingen. Die Bozener Wirtschaftswissenschaftlerin sprach auf Einladung der Ravensburger SPD bei einer Veranstaltung im Rahmen der 13. Wochen der internationalen Nachbarschaft (WIN) im Hotel Engel.
„Italien ist weit mehr als Sonne, Chianti, Spaghetti und Zitronen“, so die Vertreterin der Italienischen Handelskammer. Nach Frankreich ist Italien der zweitgrößte Handelspartner der Bundesrepublik Deutschland. Italien wiederum wickelt den größten Teil seines internationalen Handels mit Deutschland ab. Unter den einzelnen Bundesländern, wusste die Referentin zu berichten, gelten Bayern und Baden-Württemberg, als „privilegierte Handelspartner Italiens“. Dass dabei der Raum Oberschwaben keineswegs im Abseits steht, verdeutlichte die Wirtschaftswissenschaftlerin, indem sie darauf hinwies, dass rund 80 Prozent aller oberschwäbischen Milchexporte nach Italien gehen.
„Wirtschaftskontakte sind immer auch Investitionen“. Eingehend erläuterte Irene Bonini daher das in Italien praktizierte System der Investitionsförderung. Seit Anfang diesen Jahres können Unternehmer, die auf der Apenninenhalbinsel investieren wollen, mit finanziellen Zuschüssen der italienischen Regierung von bis zu 65 Prozent der Investitionskosten rechnen. Gefördert werden dabei vor allem Investitionen im besonders strukturschwachen Mezzogiorno, dem Süden des Landes.
Wer nicht direkt in Italien investieren wolle, dem biete der bilaterale Handel ein weites Bestätigungsfeld, sagte die Referentin. Aufgrund der im Zuge des Europäischen Binnenmarktes erfolgten Liberalisierung des öffentlichen Auftragswesens können nunmehr auch Ravensburger Unternehmen bei Auftragsvergabeverfahren der öffentlichen Hand in allen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union teilnehmen. Einen Markt, den die Bozener Wirtschaftswissenschaftlerin auf rund 1.400 Milliarden Mark bezifferte. „In der Praxis läuft hier aber noch recht wenig“, musste Bonini feststellen. Insbesondere kleinere und mittlere Unternehmen zeigten sich noch recht zögerlich. Hemmend wirken sich nach Einschätzung der Wirtschaftswissenschaftlerin neben der unzureichenden Umsetzung europäischer Rechtsvorschriften in nationales Recht vor allem die bestehenden Sprachbarrieren aus.
lm Europäischen Binnenmarkt sieht Bonini das „entscheidende Element der Gemeinschaftsstrategie zur Förderung des Wirtschaftswachstums, der Stärkung der Wettbe¬werbsfähigkeit und der Schaffung von Arbeitsplätzen“. Eher skeptisch zeigten sich in der anschließenden Diskussion dagegen Vertreter des DGB und der IG-Metall. So hielt es IG-Metall-Referent Eno Savarino für „illusionär“ zu glauben, dass der Binnenmarkt automatisch neue Arbeitsplätze produziere. Viel eher sei mit einem weiteren Rationalisierungsschub zu rechnen. Ferner sieht der seit 25 Jahren in Deutschland lebende Sizilianer die mit dem Binnenmarkt verbundene Gefahr einer „stetigen Absenkung der Arbeits- und Lebensbedingungen“. Viel werde für die Unternehmen getan, nur wenig für die Arbeitnehmer, so Savarino weiter: „Der Mensch steht nicht mehr im Mittelpunkt des Wirtschaftsgeschehens.“
Frank Vollmer
Erschienen in: Schwäbische Zeitung, Ausgabe Ravensburg, 16. Oktober 1996.