Bei der Premiere regnet es in Strömen

Vor 100 Jahren gründeten Pfarrer Max Notz und Max Leibinger die Blutreitergruppe Weißenau

Die Weißenauer Blutreitergruppe feiert dieses Jahr ihr 100-jähriges Bestehen. Am Sonntag, 25. Juni, findet daher ein großer Jubiläumsritt rund um Weißenau statt, an dem etwa 120 Reiter teilnehmen werden. Doch wie kam es überhaupt zur Gründung der Gruppe? Ein Rückblick auf ihre Historie.

Im Oktober 1923 verabschiedete sich der Weißenauer Pfarrer Matthäus Geisinger (1855-1931) in den Ruhestand. Zum Abschied nahm er seine Pfarrkinder ins Gebet und mahnte sie, „die Treue im Glauben zu halten, die Kinder in christlicher Zucht zu erziehen und zwischen den einzelnen Ständen Frieden zu halten.“ Geisingers Nachfolge trat Pfarrer Max Notz (1873-1958) an. Am Samstag, den 27. Oktober 1923 kam der damals 50-Jährige mit Sack und Pack am Bahnhof an, wo man ihm einen triumphalen Empfang bereitete: Der Musikverein Sternberg spielte, der Kirchenchor sang und drei Schülerinnen sagten Gedichte auf. Bereits tags darauf wurde Notz in der prall gefüllten Pfarrkirche Weißenau feierlich in sein Amt eingeführt.

Der gebürtige Bad Cannstatter Notz hatte in Innsbruck und Tübingen Philosophie und Theologie studiert und war 1897 im Rottenburger Dom zum Priester geweiht worden. Während des Ersten Weltkriegs wurde er als Feldgeistlicher an die Westfront abkommandiert. Ravensburg war für Notz kein unbekanntes Pflaster: Von 1907 bis 1915 war er hier Kaplan der Pfarrei Liebfrauen und Präses des Katholischen Gesellenhauses gewesen, wobei er sich den Ruf eines „temperamentvollen Führers“ und „treusorgenden Seelsorgers“ erworben hatte, wie die Schwäbische Zeitung 1957 zu seinem diamantenen Priesterjubiläum schrieb.

Wegen seines „rührigen und leutseligen Wirkens“ muss sich Notz bald großer Beliebtheit bei den Weißenauern erfreut haben. Schnell machte er auch die Bekanntschaft des Bauern Max Leibinger (1886-1930), der den Voglerhof im Südwesten Ravensburgs bewirtschaftete. Noch im Winter 1923 schmiedeten die beiden den Plan zur Gründung einer Weißenauer Blutreitergruppe. Formal wurde der Gründungsakt im März 1924 vollzogen. Neben Notz und Leibinger gehörten zehn Bauern aus der Pfarrei zu den Gründungsmitgliedern. „Zweck der Gründung war“, so vermerkte der damalige Chronist Gebhard Arnegger (1902-1991), „gemeinschaftlich an der Verehrung des hl. Blutes in Weingarten teilzunehmen u. so den Segen Gottes für Familie u. die gesamte Pfarrgemeinde herab zu erflehen.“

Bemerkenswert ist dabei zweierlei: Zum einen war Weißenau ein echter Nachzügler, die meisten Pfarreien im Schussental besaßen damals längst eigene Blutreitergruppen. So etwa St. Christina (1906), Berg (1906), Ravensburg (1907), Schmalegg (1907) und Eschach (1908). Zum anderen ging es den Weißenauern zunächst darum, das Weingartener Heilige Blut zu verehren – und nicht ihre eigene, ebenso wertvolle Heilig-Blut-Reliquie, die bis heute in der Pfarrkirche Weißenau verwahrt wird. Erst in den 1950er Jahren knüpfte die Blutreitergruppe an die jahrhundertealte Tradition der Weißenauer Blutritte an. Diese wurden erstmals im 17. Jahrhundert vom damaligen Abt des Klosters, Johannes Christophorus Härtlin, beschrieben. Demnach zogen zweimal im Jahr Reiterprozessionen mit dem Heiligen Blut durch die Fluren, um „Heuschrecken von Äckern, Weinbergen und Bäumen zu vertreiben und um Regen und die Vermeidung von Hagel zu bitten.“

An der Blutfreitagsprozession am 30. Mai 1924 nahmen die zwölf Weißenauer Reiter als Gruppe teil – allerdings noch im Verbund mit der Blutreitergruppe Eschach. Die Premiere fiel gründlich ins Wasser: Während der Prozession regnete es in Strömen, so dass Mensch und Tier nur so vor Nässe trieften. Herrliches Maiwetter herrschte dagegen beim Blutritt am 22. Mai 1925, als 25 Weißenauer angeführt von Gruppenführer Leibinger und Pfarrer Notz und begleitet vom Musikverein Sternberg erstmals als eigenständige Formation auftraten. Eine erste Standarte und weiße Schärpen – eine Reminiszenz an die „weißen Mönche“ des Prämonstratenser-Ordens, die 1145 das Kloster Weißenau gegründet hatten – sorgten für den feierlichen Auftritt der Gruppe.

Max Leibinger starb im März 1930 mit nur 44 Jahren. Im August desselben Jahres wurde Pfarrer Notz von Bischof Sproll als Garnisonspfarrer nach Ulm versetzt, wo er bis 1945 blieb. 1947 kehrte er nach Ravensburg zurück und nahm selbst mit über 80 Jahren noch am Blutritt teil.

Frank Vollmer

Erschienen in: Schwäbischen Zeitung, 16. Juni 2023.

Das Foto zeigt die Blutreitergruppe Weißenau beim Blutritt in Weingarten im Jahr 1925 oder 1926. In der ersten Reihe (rechts) reitet Gruppenführer Max Leibinger, in der vierten Reihe (Mitte) Pfarrer Max Notz.